Klettern am Tag der Einheit

Klettern am Tag der Einheit

Was haben Goethe und die Schweizer gemeinsam? Der Dichterfürst und das Alpenland werfen inflationär ihre Namen in die Landschaft. Überall, wo Goethe auftauchte, wurde alles nach ihm benannt. Wenn er wo mal nicht war, aber die Landschaft irgendwie beeindruckend ist oder die Indigenen eine gewisse Sehnsucht nach den Bergen verspürten, wurde eine „Schweiz“ daraus. Bei Skalka (Rommersreuth), einem Ortsteil von Hazlov und ein sprichwörtlich „böhmisches Dorf“, gibt es eine Landschaft, die nun wirklich nicht viel mit der Schweiz gemeinsam hat. Nicht einmal 20 Meter hoch, aber dafür zahlreich, verstreuen sich hier zwei Handvoll Quarzfelsen. Felsen? Schweiz? Klingeling - wir haben hier eine ROMMERSREUTHER SCHWEIZ! Dummerweise schaute nun auch der namenversprühende Dichter öfter in der Gegend vorbei, weil er zwar wenig fern, aber gerne in die Ferne sah und von hier aus ging das zu seiner Zeit ziemlich gut. Zack, war das Dilemma fertig. Die Felsgruppe wurde kurzerhand zu den „Goethefelsen“, außerdem erinnert eine Gedenktafel an ihn und es gibt einen Goethestein. Heute stecken die Felsen mitten im Wald und man kann mit guten Augen allenfalls Blaubeeren sehen.

Da mir die Fantasie fehlt, um dort die Schweiz zu erkennen und Personenkulte grundsätzlich auch nicht so mein Ding sind, mag ich die Namen der einzelnen Felsen, die in den Kletterführern stehen. Die sind schnörkellos (Hauptturm), formvollendet (Nashorn), einladend (Biwakfels), vegetationsliebend (Birkenfels), abstrakt (Klumpen), praktisch (Waschbrett) bis schlicht (Vergessener Fels). Das finde ich schön!

Auch schön ist, dass viele von uns an einem Feiertag Zeit zum Klettern haben. Die Entscheidung für den Ort fiel leicht: Die Felsen der Goethe-Schweiz bieten zahllose leichte und mittelschwere Wege. Zu den 115 Routen, die im Vogtland-Kletterführer aufgeführt sind, kamen mittlerweile noch ein paar neue dazu und vor allem wurden viele Routen richtig gut gesichert! Vor allem auch einige leichte sind mit Haken übersät worden, sodass ein hervorragendes Trainingsgelände für den Einstieg zum Vorstieg entstanden ist.

Einige von uns waren zum ersten Mal hier und überrascht, was die Poetenschweiz zu bieten hat. Der Regen sollte erst gegen 17:00 Uhr kommen und so tasteten zwanzig Hände die Felsen motiviert nach Griffen ab. Zwanzig Füße versuchten, Halt zu finden und höher zu steigen. Mal einfach viel Zeit zu haben und nach Herzenslust Klettermeter zu spulen, war schon länger her und tat gut. Man könnte immer weiterklettern und merkt gar nicht, dass man müde wird. Zum Glück sagt eine alte vogtländische Kletterweisheit: „Und wenn du denkst, du kannst nicht mehr, kommt irgendwo ein Kuchen her.“ Jens Kittel und Wolfgang Roth wanderten zufällig in der Schweizer Enklave und hatten ebenso zufällig einen ganzen Pflaumenkuchen dabei! Ob Zufall oder Vorsehung interessiert den unterzuckerten Kletterer nicht, sondern er greift so lange zu, bis auch das letzte Krümelchen den Weg in die Muskeln findet. Er stöhnt dann zwar, dass er jetzt nimmer klettern könne, aber Kletterer sind ja zugleich auch immer ein bisschen Schauspieler.

Gegen 17:00 Uhr kam tatsächlich der Regen und beendete jede weitere Ambition. Kurz davor, ein lobpreisendes Gedicht auf das Wetter, die schönen Felsens, die gut sanierten Wege, die eigene Kletterleistung und Jens’ Pflaumenkuchen zu schreiben, besannen wir uns dessen poetischen Minderwerts und der Einsicht, man müsse öfter herkommen. Es ist ja nicht so weit wie Weimar oder die Schweiz.

Frank Weller

Zurück