Des Kaisers Zicken oder Nordwandliebe rostet nicht

Zwei Jahre ist es her, dass Schreiti, Silvio und ich das letzte Mal dem Kaiser unsere Aufwartung machten. Ich berichtete damals bereits über die „Ostler-Führe“ (4-), die über die schon von der Inntal-Autobahn aus sichtbare und einigermaßen beeindruckende Ostlerplatte auf den Scheffauer verläuft. Bereits unterwegs, aber vor allem oben erwischte uns ein mindestens genauso beeindruckender Regenguss und ließ uns triefend vor Nässe den Widauer Steig runterhasten. Die zweite Tour am nächsten Tag sollte die „Nordwandliebe“ (5-) werden, fiel aber den Bächen aus der Wand zum Opfer.

Diesmal hatten wir Verstärkung dabei: Lotti, Korni und Matze sollten nicht länger auf einen Kaiser-Gipfel verzichten müssen. Die Ostler-Führe bietet ja alles, was man dazu braucht, also warum nicht einfach eine Wiederholung starten? Zu fünft stiegen wir am Freitag zur Kaindl-Hütte auf – Korni sollte erst am Samstag dazustoßen. Der Kaiser-Lift nahm uns bei ergiebigem Regen ein Stück des Wegs ab – jeder von uns saß in einem Einer-Sessel, den großen Rucksack vor sich auf den Beinen, und duldete stumpf das Platschen der Tropfen.

Samstagmorgen, sehr sehr früh: Die Hälfte der Kühe von vor zwei Jahren (vielleicht erinnert sich einer – die Glocken von Jericho?) wartete noch immer unter unserem Fenster. Dafür hatte sich das Wetter besser im Griff. Wir entschieden uns für einen 10-Seillängen-Weg auf den nahen Zettenkaiser. Die „Nordwandliebe“ litt leider noch unter morgendlicher Inkontinenz. Also nahmen wir als zwei 2er-Seilschaften die „Alte Ostwand“ (4+), die seit zwei Jahren wegen Felsbewegungen und der potenziellen Gefahr eines Felssturzes gesperrt war, aber mittlerweile wieder begehbar ist, in Angriff. Sowohl Schreitis Erkundigungen als auch die Aussagen des Hüttenwirts, dass die Bergpolizei  Entwarnung gab, waren denkbar positiv. Zum Glück für die Klettergemeinde, denn eine Dauersperrung wäre jammerschade. Der wirklich schöne und abwechslungsreiche Weg, der an einigen wenigen Stellen als etwas ausgesetzt bezeichnet werden kann, entspricht der beschriebenen Schwierigkeit und fiel leicht. Nachahmern sei er ausdrücklich empfohlen.

Der Abstieg vom Zettenkaiser verläuft zunächst über den Gipfelgrat, danach steil durch Rinnen bis in den kleinen Friedhof (!) und ist recht langwierig, weil nicht ungefährlich. Wer also denkt, er hat die Kletterei am Gipfel hinter sich, sieht sich spätestens beim Rückweg getäuscht, hat das Erlebnis aber natürlich trotzdem schon im Rucksack.

Schon von weitem sahen wir Lotti und Korni von der Kaindl-Terrasse winken. Das Abendessen nahmen wir noch dort ein (und das eine oder andere Geburtstagsstamperl auf das persönliche Wohl Kornis), dann mussten wir umziehen. Die Hütte war voll. Ein paar Meter weiter bezogen wir eine Almhütte, die uns der Besitzer freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Wir fanden massig Platz zwischen Parterre und Dach in einer puristischen Urigkeit: Gaslampe in der Küche, Holzofen in der guten Stube, Strom vielleicht in Zukunft.

Nach ein paar wenigen Stündchen Schlaf – erwähnte ich schon Kornis Geburtstag? - krochen wir 4:30 Uhr aus den Betten. Wollte man warme Baguettes und heißen Kaffee zum Frühstück haben, musste man erst den Herd anheizen und die gute, alte Gusseiserne auf Betriebstemperatur bringen.

Die Zeit drängte, wir hatten viel vor. Zwei 3er-Seilschaften sind nicht allzu schnell und 16 Seillängen ziehen sich. Eine Stunde bis zur Wand, dann der Einstieg. Die meisten Seillängen sind 3er Kletterei und leichter. Sich zu sichern, steht prinzipiell ja jedem frei. Im 1- bis 2er Gehgelände kann man die Sicherung auch schon mal weglassen, zumal man mit den Halbseilen kräftig Steine abräumt. Bis unter mir die scheinbar feste Platte plötzlich nachgab und ins Nirvana flog. Von einer auf die andere Sekunde dachte ich ganz anders über die Sicherung und erdete meine Kompetenzen neu.

Dann kamen die Wolken. Der erste der zwei meistgesagten Sätze des Kletterers war nicht mehr als  eine Erwähnung: „Des zieht vorbei“. Überflüssig zu sagen, dass dann der zweite schon bedeutungsschwerer war: „Da hinten wird’s heller“. Zwischen den Sprüchen lagen Tropfen, Regen, Graupel. Die erste Seilschaft hatte da die Ostlerplatte schon hinter sich, wir als zweite waren drin. Wie von einem Dach lief das Wasser die Platte runter in die Traufe. Dort standen unsere Kletterschuhe und in den Kletterschuhen standen wir. Zu dritt. Und teilten uns den Platz. Mit dem Wasser…

Innerlich zog ein gewaltiges Lusttief auf, der Notausstieg nach der Platte sah jedoch wenig einladend aus. Also mussten es auch noch die letzten beiden Seillängen sein. Mit kalten Gliedern auf triefendem Fels gingen wir in die Schlüsselstelle der Route, eine unter normalen Umständen leichte  4-/4. Ein Riesenlob übrigens an die Courage der beiden Seilschaftsführer Schreiti und Silvio! Das Material verstaut, schnell noch rauf zum Gipfel, eiliges Foto, ein paar Riegel verzehrt und den Widauer Steig runter. Unten angekommen, hieß es noch die Rucksäcke zu packen, ein schnelles Abendbrot in der Kaindl-Hütte und bis nach Kufstein abzusteigen – noch eine weitere Schlüsselstelle des Tages.

Gegen Mitternacht plünderten wir in Kufstein noch schnell eine Tankstelle und einen McDonald’s, warfen Süßes und Trinkbares ein und fuhren heim.

Es bleibt das Resümee: Der Kaiser mag uns nicht, musste uns aber zähneknirschend wieder einen Gipfelerfolg überlassen. Die Wege waren sehr schön und absolut lohnend, das Wochenende im Ganzen anstrengend. Und die „Nordwandliebe“? Die wird umgetauft in „Nordwandbeziehungskrise“. Ihr wurde ein weiteres Trennungsjahr auferlegt.

Kein Ende ohne Sympathiebekundung an meine Kletterkameraden und den besonderen Dank an Schreiti. Wieder hat er seine Alpintour bestens vorbereitet und uns souverän „es Berchl nauf u wieda noh“ geführt.

Frank Weller, im Juli 2018

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