KV Stěna - Plastegriffe im Egertal
Was haben ein Hirsch, vier Kletterer unserer Sektion, Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, Michael Douglas, Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud gemeinsam? Richtig, sie alle können sich rühmen, die Stadt Karlovy Vary besucht zu haben. Ersterer soll durch Scharren seiner Läufe die erste Heilquelle des Kurortes entdeckt haben und erhielt sogar zum Dank ein Denkmal aufgestellt. Die vier Letztgenannten sind zweifellos große Namen der Geschichte und haben gewiss auch eine Statue oder zumindest eine güldene "Hier weilte ...."-Tafel in der Stadt verdient. Nur wir vier unbedeutenden Kletterer gehen leer aus. Aber das ist auch völlig in Ordnung so, denn unser Besuch der Stadt hatte nichts mit Ruhm und High Society zu tun, sondern nur den Zweck, die dortige Kletterhalle einmal vorsichtig anzutesten. "Entdeckt" hat die Kletterhalle Heiko. Nicht durch Hufscharren, sondern irgendwie anders durch Mundpropaganda oder Stöbern im Netz. Von ihm kam auch der Vorschlag, dort einmal einen neugierigen Testbesuch zu wagen. Nadine hat dann aus dem "Man könnte ja mal irgendwann ..." das "Irgendwann" entfernt, indem sie konkret den vergangenen Samstag für das Vorhaben vorgeschlagen hat. Durch den kurzfristigen Ausfall eines Handballspieles war der Tag zur freien Verfügung geworden. Bei mir haben die beiden mit dem Vorschlag offene Türen eingerannt, Matze war als vierter Mann dann auch noch mit im Boot (bzw. Auto). Größer wollten wir den Besuch zunächst nicht aufziehen, denn wir hatten keine Ahnung, was uns da überhaupt erwartet.
Nach der Fahrt durch das winterliche Erzgebirge hatten wir das große Glück, einen der wenigen Parkplätze direkt vor der Halle zu ergattern. Die Parksituation ist in dem Stadtteil ziemlich katastrophal. Günstig ist, daß die Halle im Nordwesten der Stadt liegt. Man ist quasi gleich nach dem Ortseingangsschild am Ziel und muss nicht erst durch die halbe Stadt. Das Gebäude selbst liegt etwas versteckt und macht eher einen unscheinbaren Eindruck.
Beim Einchecken ereilte uns dann die erste Überraschung: Man zahlt dort keinen Eintritt, unsere Geldbörsen konnten/mussten wir wieder einstecken. Auch war nichts zu unterschreiben oder anzuerkennen. Mit einem freundlichen "Dobrý den!" bekamen wir Spindschlüssel für die Umkleiden überreicht und der Kletterspaß konnte sofort beginnen. Wir also die Wendeltreppe hoch, umgezogen und gegurtet wieder die Treppe runter und hinein in die Halle. Riesengroß ist sie nicht, vielleicht vergleichbar mit dem Wunsiedler Zuckerhut. Gut gefüllt war sie, als wir ankamen, aber dank der Tatsache, daß alle vier Wände des Raumes und die Säule bzw. Mittelwand mit Griffen versehen sind, besitzt sie viel Potenzial - 500 Quadratmeter Kletterfläche gibt die Website an.
Auffallend war die Sauberkeit und staubfreie Luft. Der Grund liegt darin, daß dort nur Magnesia in flüssiger Form erlaubt ist. Eine weitere Besonderheit ist, daß die Wege mit der französischen Skala bewertet sind. An beides gewöhnt man sich jedoch ziemlich schnell. Die Schwierigkeiten der Wege sind breit gefächert. Von bockschwer bis anfängerfreundlich ist alles in einem ausgewogenen Verhältnis vorhanden. Eine komplette Stirnwand ist kinderfreundlicher Toprope-Bereich, alle Wege sind sehr homogen geschraubt und entsprechen sehr exakt den Bewertungen. Eine Klettergiraffe (Nadine war begeistert!), Überhänge (Matze war begeistert!), Senkrechtes (Heiko war begeistert), Plattiges, schöne Kantenkletterei (ich war begeistert!) und sogar ein FAUST-Riss (Goethe wäre begeistert) lassen keine Wünsche offen.
Neben der Halle, in der Adrenalin, Schweiß und flüssiges Magnesia fließen, gab es natürlich noch einen weiteren wichtigen Raum zu erkunden: den eingangs erwähnte Geldbörsenwegsteckraum, in dem Pivo, Kofola und Espresso fließen. Hier gibt es nicht nur die freundliche Begrüßung und die Spindschlüssel, sondern auch Getränke, kleine Snacks, diverse Kletterausrüstung, den aktuellen Kletterführer der Rommersreuther Schweiz und sogar geschmackvollen, kletterspezifischen Schmuck. Falls jemand auf der Suche nach Schuhen, Seilen oder einem Verlobungsgeschenk für seine kletteraffine Angebetete ist, der ist hier richtig. Gemütlich kann man hier sitzen und sich stärken. Einmal niedergelassen braucht's dann viel Motivation, um wieder rüber zu dem Raum mit den Umlenkern zu gelangen ...
Wir vier Tester sind uns einig, daß sich die Fahrt nach Karlovy Vary sehr gelohnt hat und wir alle einen sehr schönen Klettertag verbracht haben. Die Halle können wir wärmstens weiterempfehlen, auch für Familien mit kleinen Kindern. Zu beachten ist, daß die Halle in den Sommermonaten Juli und August komplett geschlossen bleibt. Das Parken kann zum Problem werden, wenn die wenigen hauseigenen Plätze belegt sind. Staubige Magnesiabeutel müssen draußen bleiben, alles andere ist bestens! Eintritt mussten wir zwar nicht bezahlen, abgerechnet wurde zum Schluss. Und den "Austritt" konnten wir mit der Kreditkarte begleichen, Landeswährung war nicht notwendig. Wir als deutsche Ausländer wurden sehr freundlich und hilfsbereit behandelt. Das mit den Ländergrenzen wird sowieso oft überbewertet: Aus eigener Erfahrung kann ich bezeugen, daß sich tschechischer Muskelkater exakt so wie deutscher anfühlt ...
Was unterscheidet einen Hirsch, vier Kletterer unserer Sektion, Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, Michael Douglas, Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud von einander? Richtig, nur die vier Vogtländer waren in der Kletterhalle KV Stěna! Alle anderen waren einfach nur so in der Stadt.
schumi