Te Araroa - der lange Weg

Sie hat alles was von Bedeutung war verloren: Ihre Mutter, ihre große Liebe und schließlich sich selbst. Ann ist verzweifelt, hadert mit dem Leben. Doch dann trifft sie eine Entscheidung, die alles verändern wird: Um sich selbst zu retten, verkauft sie ihr gesamtes Hab und Gut, kündigt ihren Job und bucht einen Flug nach Neuseeland. Im Gepäck einzig ihr (zugegebenermaßen ziemlich schwerer) Rucksack und dem festen Willen, ein neues Abenteuer zu wagen. Vor ihr liegen fünf Monate und 3000 Kilometer auf dem Te Araroa – dem Fernwanderweg durch ganz Neuseeland. Wird sie es schaffen und ihr Ziel erreichen? Wird der Weg ihr helfen, sich selbst und die Lust am Leben wieder zu finden?

Zugegeben, ich war skeptisch. Wer mich kennt, der weiß, wahre Begebenheiten in Büchern sind nicht gerade mein Steckenpferd. Von authentischen Reiseberichten lasse ich normalerweise gänzlich die Finger. Und doch habe ich mich gemeinsam mit Ann Kathrin Saul in das Abenteuer „Fremdes Neuseeland. Te Araroa – der lange Weg“ gestürzt. Obwohl der Titel nicht gerade dazu einlädt; etwas griffiger als „der lange Weg“ hätte zumindest der Untertitel schon sein können – verdient hätte es das Buch allemal. Zögerlich begann ich mit der Lektüre und hatte Angst vor langwierigen Wegbeschreibungen, die mich schnell ins Tal der Ermüdung gebracht hätten. Weit gefehlt! Schon bald konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen, die tägliche Nachtruhe musste verschoben werden, denn ich wollte unbedingt wissen, wie es Ann auf ihrem wirklich abenteuerlichen Weg durch Neuseeland ergeht. Diese Wirkung verdankt sich meinem Erachten nach zweierlei. Zum einen ist Saul eine großartige Autorin, ihr Schreibstil ist locker, aber nie oberflächlich. Sie versteht es, sich nicht in endlosen Beschreibungen der Umgebung zu verlieren und dem Leser trotzdem ein genaues Bild von Neuseeland vor dem inneren Augen erstehen zu lassen. Neben dem Trail rückt sie vor allem die Begegnung mit den verschiedensten Menschen, denen sie begegnet, in den Mittelpunkt. Da ist zum einen Reset, ein bereits über 60-jähriger Amerikaner, den sie über lange Strecken immer wieder trifft, und der genau wie sie den gesamten Te Araroa gehen will. Oder auch Matt und Tim, zwei waschechte Kiwis auf dem Trail, sowie viele weitere Backpacker, Trail-Angels (Menschen entlang des Trails, die etwa Unterkünfte zur Verfügung stellen oder einfach für die Wanderer da sind und ihre Hilfe anbieten) und andere Einheimische, deren herzliche und gastfreundliche Art mich als Leser und natürlich Ann Kathrin Saul begeisterten. Besonders gut fand ich zudem, dass der Trail für Saul wirklich eine tiefe Bedeutung hatte. Immer wieder kann der Leser einen Blick in Sauls Vergangenheit erhaschen. Zwei Menschen sind es, die ihr so wichtig sind, die sie aber loslassen muss, um wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehen: Ihre Mutter, die viel zu früh den Kampf gegen den Krebs verlor, und ihre große Liebe Ben, der ihr eines Tages einfach eröffnete, nicht mehr mit ihr zusammenleben zu können. Sauls Gedanken kreisen um Ben und ihre Mutter, doch der anspruchsvolle Trail, die einzigartigen Begegnungen und die atemberaubende Natur lassen bald keinen Platz mehr für unliebsame Gedanken. Ann hat nur eine Chance, wenn sie den Trail wirklich schaffen will: sie muss sich zu 100% auf ihn einlassen.

Schnell merkte ich beim Lesen, dass mich der Te Araroa zwar faszinierte, für mich aber definitiv eine Portion zu viel Abenteuer bereithält, um ihn in mittelfristiger Ferne selbst als Ziel auszuwählen. Wer allerdings mit dem Gedanken spielt und nicht nur nach einer sehr guten Lektüre sucht, der kann sich mit diesem Buch schon einmal auf die Herausforderungen des Trails einstimmen. Denn es ist ein ganz anderes Wandern, als wir es bei uns kennen. Gut ausgebaute und ausgeschilderte Wege? Fehlanzeige! Ann kämpft sich durch dichte Wälder, wandert entlang kleiner verschlungener Pfade oder auch mal direkt am stark befahrenen Highway ohne Seitenstreifen, sowie durch Schlamm, Sand und Flüsse. In nicht wenigen Kapiteln denkt Ann an Menschen, von denen sie gehört bzw. gelesen hat, die sich im dichten neuseeländischen „Bush“ oder in den Bergen verlaufen oder sich unglücklich verletzt haben und nur noch tot geborgen werden konnten. Mit der Zeit wird Ann aber immer selbstbewusster, sie lernt mit dem Trail umzugehen, lernt sich und ihren Körper neu kennen und auch der ein oder andere Extrakilometer, wenn sie sich mal wieder verlaufen hat, bringt sie nicht mehr aus dem Gleichgewicht.

Wem der Text übrigens nicht genug ist, dem sei versichert, dass sich am Ende des Buches einige Seiten mit Bildern von Anns Reise finden. Ich habe immer mal wieder dorthin geblättert und fand es dann doch irgendwie toll, dass diese Geschichte wirklich wahr ist!

Kurzum: Eine wunderbare Leseerfahrung, die ich gerne jedem an Herz legen möchte.

Christiane Fischer

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